Editorials

Dr. Eric Scheidegger

Stv. Direktor, Leiter der Direktion für Wirtschaftspolitik
SECO

Gute Rahmenbedingungen gehören zu den selbstverständlichen Erwartungen von Unternehmen und Investoren. Doch was ist genau darunter zu verstehen? Eine differenzierte Betrachtung gibt einer weitsichtigen Wirtschaftspolitik Orientierung: Im internationalen Standortwettbewerb sind schwer kopierbare Konkurrenzvorteile entscheidend.
Wirtschaftspolitische Forderungen folgen in der Regel einfachen Prinzipien: Die Unternehmen wünschen sich «gute Rahmenbedingungen», die Arbeitnehmervertretungen «sichere Arbeitsplätze». In der Summe ergibt sich daraus das Bekenntnis zu einer Politik, die der unternehmerischen Entfaltung genügend Freiraum gewährt und gleichzeitig die Arbeitnehmer vor missbräuchlichen Anstellungsbedingungen schützt. Mit diesen Grundsätzen setzt die Schweiz auf das Gute im Einfachen und fährt damit gut.
Doch was ist eigentlich unter dem Schlagwort der «guten Rahmenbedingungen» zu verstehen? Wenn ich Unternehmer und Wirtschaftsvertreter höre, werden typischerweise folgende Elemente genannt:

  1. politische Stabilität
  2. attraktive Steuern
  3. ein ausgeglichener Staatshaushalt
  4. flexible Arbeitsmärkte
  5. Marktzugang zu Auslandsmärkten
  6. ein leistungsfähiges Bildungs- und Forschungssystem

Dieses halbe Dutzend wichtiger Standortfaktoren ruft nach einer Priorisierung. Diese ist nicht ganz einfach, weil deren Bedeutung je nach Branche und Unternehmensstrategie anders eingeschätzt wird. Für international tätige Konzerne sind fiskalische Aspekte sehr wichtig, wie die Volksabstimmung über die Steuerreform und AHV-Finanzierung zeigt. Für forschungsintensive KMU ist dagegen die Exzellenz von F&E-Institutionen von besonderer Bedeutung. Politische Stabilität und Arbeitsmarktflexibilität schliesslich sind für alle unternehmerischen Tätigkeiten entscheidend. Soweit so gut – aber vielleicht doch etwas zu einfach. Ich plädiere deshalb für eine differenziertere Priorisierung.

Rahmenbedingungen mit «Unique selling propositions»
Der Wirtschaftsstandort Schweiz befindet sich in einem dauerhaften Wettbewerb um mobile Produktionsfaktoren: Kapital zur Finanzierung von Investitionen, qualifizierte Mitarbeitende zur Erschliessung neuer Geschäftsfelder, ganze Unternehmensbereiche, welche Teil internationaler Wertschöpfungsketten sind. Indem Firmen legitimerweise die Möglichkeit nutzen, mittelfristig Produktionsfaktoren zu verlagern, stärken sie ihre Konkurrenzfähigkeit und erhalten einen gesunden Wettbewerbsdruck auf den Standort Schweiz.
In einem solchen Verständnis der wirtschaftlichen Entwicklung muss die Priorisierung der Rahmenbedingungen differenzierter ausfallen: Angesichts des Standortwettbewerbs sind diejenigen Faktoren von Bedeutung, die von anderen Ländern schwer nachzuahmen sind. Beispielsweise ist offensichtlich, dass fiskalische Attraktivität weltweit imitiert wird. Hingegen zeigen Ländervergleiche, dass Ausprägungen der Arbeitsmarktpolitik, der Bildungssysteme oder der Ausgabenpolitik deutlich schwieriger zu kopieren sind.
Ein Blick in die gängigen Untersuchungen zur Standortattraktivität von Ländern verweist auf weitere schwer imitierbare Bausteine «guter» Rahmenbedingungen: glaubwürdiger Eigentumsschutz, hohe Wettbewerbsintensität, eine leistungsfähige Infrastruktur; solide Finanzmärkte; effiziente Behörden. Der hohe Anteil solcher schwer nachahmbaren Standortvorteile der Schweiz kann kaum überbewertet werden. Sie sind die eigentlichen «Unique selling propositions» (USP) unserer Volkswirtschaft.
Was gute Rahmenbedingungen zu bewegen vermögen, zeigt die erfolgreiche Bewältigung des Strukturwandels. In meiner Kindheit arbeiteten noch knapp 15 Prozent in der Landwirtschaft und 50 Prozent aller Erwerbstätigen in der Industrie. Heute sind es noch knapp 3 Prozent, respektive rund 20 Prozent. Trotz dieses eindrücklichen Rückgangs der Beschäftigung im 1. und 2. Sektor haben wir in der Schweiz heute mehr Arbeitsplätze denn je. Dies hängt mit dem spiegelbildlichen Ausbau von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor zusammen. Aber selbst innerhalb des 3. Sektors war der Wandel enorm: Erinnern Sie sich an die Arbeitsplätze im Finanzsektor, im Detailhandel oder in der Gesundheitsversorgung in den 1960er-Jahren? Das Beschäftigungsprofil und die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten lassen sich heute kaum vergleichen. Diese Entwicklung spricht für eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit der Unternehmen und des Arbeitsmarktes. Sie sind aber auch Ausdruck von eben diesen guten Rahmenbedingungen.

USP wollen gepflegt sein
Früher gelegte Grundsteine zum Erfolg dürfen kein Grund zur Selbstgefälligkeit sein. Auch USP erodieren, wenn nicht in ihre Qualität investiert wird. Gute Rahmenbedingungen müssen erhalten und im politischen Alltag erkämpft werden. Und die Schweiz hat noch viel Raum «nach oben», wenn es um die Pflege der Rahmenbedingungen geht. Dazu nur zwei Beispiele.
Als Erstes muss auf die Erhaltung des privilegierten Verhältnisses mit der Europäischen Union hingewiesen werden. Ein vereinfachter Zugang zum europäischen Binnenmarkt ist ein wichtiger Teil der Rahmenbedingungen. Nicht nur ausländische Firmen schätzen die Lage im Zentrum Europas. Auch für traditionelle Schweizer Firmen ist es wichtig, dass sie – wie ihre europäischen Konkurrenten – ungehindert in den Mitgliedsländern um Lieferanten und Kunden buhlen können. Angesichts der hohen Bedeutung der bilateralen Abkommen ist es wichtig, dass die Schweiz ihre künftige Haltung zur EU klärt und sich nicht in jahrelanger Orientierungslosigkeit übt. Eine lang andauernde Unsicherheit wäre Gift für die Investitionstätigkeit in der Schweiz.
Zweitens stehen Hausaufgaben im Bereich der Regulierungspolitik an. In diesem Bereich der Wirtschaftspolitik besteht zwischen der Legislative und der Exekutive eine unterschiedliche Wahrnehmung. Während der Bundesrat keinen grösseren Handlungsbedarf zur Verbesserung der Regulierungsqualität sieht, reicht das Parlament einen Vorstoss nach dem anderen ein, um einer sogenannten «Regulierungsflut» entgegenzuwirken. Es scheiden sich die Geister, ob die Regulierungspolitik die guten Rahmenbedingungen sichert – oder untergräbt.
Regulierungen sind für den Standort Schweiz nicht a priori schlecht. Niemand würde behaupten, dass die Abschaffung aller Regulierungen zum Schutz der Arbeitnehmenden eine gute Idee sei. Hingegen gibt es eine weit verbreitete Überzeugung, dass die Dynamik der Regulierung in vielen wirtschaftlichen Bereichen überschiesst. Wann die Schwelle an «zu viel» Regulierung überschritten wird, kann aber sachlich nicht klar bestimmt werden. Die vielen Klagen bewegen sich oftmals im Bereiche «gefühlter» Überregulierung. Gemäss dem jüngsten Bürokratiemonitor empfinden jedenfalls zwei Drittel der befragten Unternehmen in der Schweiz die administrative Belastung als (eher) hoch.
Der Bund und die Kantone werden jedenfalls der Pflege guter Rahmenbedingungen auch in der kommenden Legislaturperiode hohe Aufmerksamkeit schenken müssen. Denn der Standortwettbewerb wird auch in Zukunft massgeblich auf den Wohlstand der Schweiz einwirken. Das ist gut so. Wettbewerb spornt uns alle an.

Kommentarfunktion ist geschlossen.