Im Auftrag der G20 ist die OECD daran, die Gewinnsteuern grosser Unternehmen global neu zu verteilen. Das Projekt trägt den unverdächtigen Namen «Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft». Projektträger ist das mehr als 130 Staaten umfassende «OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS», wobei die Projektarbeiten im Wesentlichen von der OECD ausgeführt werden. Ziel des Projekts ist eine Umverteilung von Gewinnsteuersubstrat von den Sitzstaaten zu den Staaten mit grossen Märkten wie Indien oder Brasilien (Projektpfeiler 1). Zweitens sollen globale Mindeststeuersätze eingeführt und von den Konzernen eingehalten werden (Projektpfeiler 2).
Erst im Jahr 2015 legten G20 und OECD mit den neuen BEPS-Vorgaben fest, dass die Unternehmen ihre Gewinne künftig konsequent am Ort der Wertschöpfung versteuern sollen. Das ist derjenige Ort, an dem die Gewinne erwirtschaftet und die dafür wesentlichen Geschäftsentscheide gefällt und umgesetzt werden. Da die Gewinnsteuer die Entschädigung für die Wertschöpfung darstellt, war diese Festlegung steuersystematisch richtig. Knapp vier Jahre später strebt die OECD einen Paradigmenwechsel an. Im Oktober 2019 präsentierte sie einen Vorschlag, der den Marktstaaten unabhängig von der Wertschöpfung ein grösseres Stück der Gewinnsteuereinnahmen garantiert. Als kleiner Markt- aber bedeutender Sitzstaat könnte das G20-Projekt die Schweiz erheblich treffen.
Das Projekt zur Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft lässt sich nicht mehr stoppen. Hingegen lassen sich die Parameter noch beeinflussen. So enthält der im Oktober publizierte Vorschlag der OECD keine Angaben, in welchem Umfang die Gewinne von den Sitz- zu den Marktstaaten transferiert werden sollen. Die Schweiz sollte sich deshalb dafür einsetzen, dass die Umverteilung zu den Markstaaten möglichst tief ausfällt. Eigentlich sollte ein Anspruch der Marktstaaten nur dann bestehen, wenn diese den Nachweis erbringen, dass sie ebenfalls zur Wertschöpfung beigetragen haben und die bestehenden Steuerzahlungen diesem Umstand ungenügend Rechnung tragen. Dieser Sichtweise sollte sich auch die die OECD nicht verschliessen. Werden Staaten, die in eine gute Ausbildung der Bevölkerung investieren und gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, finanziell bestraft, dürfte sich das mittel- und langfristig auch negativ auf das globale Wirtschaftswachstum oder die Bildungsausgaben in den Staaten auswirken.
Sobald sich das G20-Projekt konkretisiert, werden unsere Unternehmen nicht darum herumkommen, ihre Investitionen in Forschung und andere wertschöpfende Tätigkeiten zu überprüfen und allenfalls neu zu verteilen. Dabei kann die Schweiz der ausländischen Konkurrenz nur standhalten, wenn unsere Rahmenbedingungen weiterhin kompetitiv bleiben. Diesen ist deshalb besondere Sorge zu tragen. Nur so können wir sicherstellen, dass das Steuersubstrat von hochprofitablen Unternehmen erhalten bleibt und sogar ausgebaut werden kann. Dies bedingt u.a. ein unternehmensfreundliches Steuersystem. Dabei geht es nicht nur um die Steuern von Unternehmen. Auch Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung generieren hohe Löhne und damit hohe Steuereinnahmen. Diese Mechanik haben auch andere Länder erkannt. Sie werden alles daransetzen, durch bessere innerstaatliche Regelungen ihr Stück am Steuerkuchen zu vergrössern. In dieser Hinsicht ist z.B. Singapur sehr aktiv. Diese nachvollziehbaren Bestrebungen der anderen Staaten gilt es immer im Auge zu behalten, wenn an den Regulierungs- und Abgabeordnungen legiferiert wird. Das neu gewählte Bundesparlament hat es in der Hand, in der kommenden Legislatur die entscheidenden Weichenstellungen vorzunehmen.