Seit über zehn Jahren wird in der Schweiz über die Einführung von Sammelklagen diskutiert. Seit zwei Jahren berät die Rechtskommission des Nationalrats über die Einführung von erweiterten Verbandsklagen und Gruppenvergleichen. Die Kommission ist diese Woche erneut nicht auf die Vorlage eingetreten. Stattdessen hat sie die Verwaltung damit beauftragt, abzuklären, wie die Vorlage vor dem Hintergrund des EGMR-Entscheides zugunsten der Schweizer «KlimaSeniorinnen» zu sehen ist. Damit zeigt die Rechtskommission, dass sie ihre staatspolitische Verantwortung ernst nimmt und die hohen Risiken der Vorlage erkannt hat.
Der Bundesrat hatte am 10. Dezember 2021 die Botschaft zu den Sammelklagen verabschiedet (Geschäft 21.082). Die Vorlage gründet im Wesentlichen auf Vorarbeiten der Verwaltung aus dem Jahr 2014. Sie sieht vor, dass die bereits bestehende Verbandsklage zur Geltendmachung von Persönlichkeitsverletzungen auf sämtliche Rechtsverletzungen erweitert und zusätzlich eine neue Verbandsklage eingeführt werden soll, um die kollektive Durchsetzung von Ansprüchen auf Schadenersatz oder Gewinnherausgabe im Falle von Massen- oder Streuschäden zu ermöglichen.
Die Rechtskommission des Nationalrates (RK-N) hat sich bereits mehrfach mit der Vorlage des Bundesrates befasst. Die Kommission hat hierbei stets betont, dass es sich bei der Frage, ob die Schweiz Sammelklagen einführen soll, um einen Grundsatzentscheid handelt, der gestützt auf einer sorgfältigen Abwägung der Chancen und Risiken getroffen werden sollte. Sie hat in den letzten Monaten wiederholt umfangreiche Zusatzabklärungen vom Bundesamt für Justiz (BJ) eingefordert. Nach der jüngsten Verurteilung der Schweiz durch den EGMR zugunsten des «Vereins KlimaSeniorinnen Schweiz» sieht die Kommission noch weiteren Klärungsbedarf (siehe auch Medienmitteilung RK-N). Sie hat die Verwaltung damit beauftragt, ihr in einer Notiz darzulegen, welche direkten oder auch indirekten Folgen dieser Entscheid für die Ausgestaltung von Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes allenfalls haben könnte. Die Vorlage wird deshalb frühestens in der Herbstsession vom Nationalrat beraten werden können.
Zunahme von öffentlichkeitswirksamen Gerichtsverfahren erwartet
Denkt man an Sammelklagen, denkt man vor allem an die USA. Dort sind solche Klagen denn auch stark verbreitet, nicht zuletzt auch infolge einer weit etablierten professionellen Klageindustrie. Sammelklagen nehmen aber auch in Europa stark zu: 121 solcher Klagen wurden im Jahr 2022 eingereicht, fünf Jahre zuvor waren es noch 55 – was mehr als einer Verdoppelung der Fälle entspricht. Für die nächsten Jahre wird eine weitere Zunahme erwartet – wobei scheinbar alle Sektoren potentiell von dieser Entwicklung betroffen sein können. Absolut gesehen wurden zuletzt in UK, den Niederlanden, Deutschland und Portugal am meisten Verbraucherklagen eingereicht. Die Länder mit dem grössten Wachstum bei diesen Klagen sind Deutschland, Slowenien und Portugal (siehe dazu auch: EU Class Action Report).
Die Schweiz soll diese Fehlentwicklungen erst gar nicht nachvollziehen
Die Wirtschaft lehnt die Bundesratsvorlage für die Einführung erweiterter Verbandsklagen und Gruppenvergleichen klar ab. Dies hat auch die jüngst veröffentlichte Umfrage der Forschungsstelle Sotomo unter der Leitung des renommierten Politgeografen Michael Hermann deutlich gezeigt. Sie ist unnötig und gefährlich. Der Blick ins Ausland bestätigt dies. Es gibt keinen Grund, solche Fehlentwicklungen auch in der Schweiz nachzuvollziehen. Die Vorlage soll folglich nicht mehr weiterverfolgt werden. Zur effizienten Beilegung von kollektiven Ansprüchen existieren effiziente Streitbeilegungs-Instrumente ausserhalb des Zivilprozesses und damit ausserhalb der Gerichtssäle. Gerade auch im Zuge der aktuellen technologischen Entwicklungen sind hier Lösungen möglich, welche dem zehnjährigen Vorschlag des Bundesrates massgeblich überlegen sind. Die Schweiz tut gut daran, auf die richtige Technologie zu setzen anstatt veraltete und überholte Instrumente in unser Rechtssystem einzuführen.
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