Sehr geehrte Damen und Herren Nationalrätinnen und Nationalräte

An Ihrer Sitzung vom 24. Juni 2022 werden Sie voraussichtlich die obgenannte Vorlage zu Verbandsklage und kollektivem Vergleich («Sammelklagen-Vorlage») beraten. Ist eine Vielzahl von Personen gleich oder gleichartig geschädigt, muss nach heutigem Recht in der Schweiz grundsätzlich jede Person ihre Rechtsansprüche individuell einklagen. Der Bundesrat hat Ihnen nun nach langer Vorgeschichte und ohne weitere Vernehmlassung einen Entwurf zur Einführung einer neuen Verbandsklage und eines kollektiven Vergleichs vorgelegt.

NEIN zum gefährlichen Experiment Sammelklagen

Die unterzeichnenden Wirtschaftsverbände, die sowohl die grossen wie auch die kleinen Unternehmen des Landes vertreten, empfehlen Ihnen geschlossen und mit Nachdruck, nicht auf die Sammelklagen-Vorlage einzutreten.

 

>> Systemfremder kollektiver Rechtsschutz bringt hohe Risiken für den Wirtschaftsstandort

Sammelklagen führen zu einem grundlegenden Systemwechsel im schweizerischen Recht. Der Zivilprozess geht in der Schweiz von der Individualität von Kläger und Beklagten aus, um den Einzelfall individuell zu beurteilen und einer gerechten Lösung zuzuführen. Dies ist ein historisch gefestigter Grundsatz in unserem Rechtsystem und in unserem Rechtsempfinden. Der Entscheid für Sammelklagen wäre damit ein Entscheid für eine umfassende Systemänderung. Die Implikationen einer solchen Anpassung auf den Standort Schweiz, unser Rechtsverständnis und unsere Streitkultur sind immens und können kaum überschätzt werden.

 

>> Die Nachteile von Sammelklagen lassen sich nicht beheben. Die in der Botschaft des Bundesrates anvisierte «Entamerikanisierung» ist nicht möglich.

Es gibt keine «Sammelklagen light»: Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass sich die wirklichen Nachteile von diesen Instrumenten nicht beheben lassen. In allen Ländern, in denen sich Klagen gegen Unternehmen wirtschaftlich lohnen (darunter wäre auch die Schweiz), hatte die Einführung von Sammelklage-Instrumenten unmittelbar die Ansiedlung und ständige Ausweitung einer professionellen «Klageindustrie» zur Folge.

 

>> Der Bundesrat hat in seiner Botschaft wesentliche Punkte nicht berücksichtigt.

Diese sind i) eine rechtsvergleichende Analyse, welche auch die negativen Auswirkungen vergleichbarer Instrumente in der EU berücksichtigt, ii) eine Berücksichtigung der neuen technologischen Möglichkeiten zur effizienten Geltendmachung von Forderungen, iii) eine seriöse Regulierungsfolgenabschätzung sowie iv) die Prüfung alternativer Streitbeilegungs-Instrumente: Sammelklagen sind ausschliesslich für die Prozessvertreter lukrativ. Für die Geschädigten sind sie ineffizient, ihnen kommen bestenfalls geringfügige Entschädigungen zu, weshalb Alternativen zwingend geprüft werden müssen.

 

>> Nach dem Willen des Bundesrates soll die Verbandsklage in zivilprozessrechtlichen Angelegenheiten massiv ausgebaut werden

Der Bundesrat sieht in seinem Vorschlag vor, dass auch Opt-out-Vergleiche künftig möglich sein sollen, die alle potenziell Geschädigten einschliessen. Auch ausländische Organisationen sind ohne weiteres zu Klagen in der Schweiz zugelassen. Forderungen aus der ganzen Welt können damit konzentriert vor einem Schweizer Gericht geltend gemacht werden. Zudem soll die Schweizer Verbandsklage in sämtlichen Rechtsgebieten möglich sein. Die Kombination von Verbandsklagen auf Schadenersatz und Gruppenvergleich ermöglicht es, bereits vor der eigentlichen Klage massiv Druck gegen ins Visier genommene Unternehmen aufzubauen. Nicht selten dürfte solch ein Druck zur Leistung einer entsprechenden Vergleichszahlung führen. Damit wären alle Voraussetzungen für ein bislang primär aus den USA bekanntes Vorgehen gegeben, nämlich den Beklagten durch die Schaffung hoher Prozess- und Reputationsrisiken zur Annahme des Vergleichs zu zwingen.

Es besteht keine Dringlichkeit. Die Qualität des Schweizer Rechtssystems ist bereits heute im internationalen Vergleich überdurchschnittlich. Die laufende und noch nicht abgeschlossene ZPO-Revision (Geschäft 20.026) wird eine weitere Verbesserung des Zugangs zum Gericht zur Folge haben (beispielsweise über Senkung der Kostenschranken und eine Vereinfachung der Verfahrenskoordination). Bereits unter geltendem Recht können Betroffene ihre Ersatzansprüche für Massen- oder Streuschäden geltend machen, auch bei kleinen Schäden. Die Fortschritte der Technik, gerade auch im Bereich «Legal Tech», werden die diesbezüglichen Möglichkeiten für Konsumentinnen und Konsumenten erweitern.

Wir danken Ihnen, wenn Sie unseren Anliegen Rechnung tragen. Gerne stehen wir Ihnen für weitere Ausführungen zur Verfügung.

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