Welche gesetzliche Regelung benötigt die Schweiz, wenn es um den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte geht? In diesen Tagen muss das Parlament diese Frage beantworten: In der Frühjahrssession steht die Schlussberatung zur Unternehmens-Verantwortungs-Initiative an, welche alle Schweizer Unternehmen direkt und auch ohne eigenes Verschulden für das Verhalten ihrer wichtigen Lieferanten weltweit haftbar machen möchte.
Zwar dürfte die extreme Initiative keine Mehrheit im Parlament finden. Chancen dürfte hingegen ein Gegenvorschlag haben, wobei derzeit zwei Varianten vorliegen: der Gegenvorschlag des Nationalrates, welcher wie die Initiative weltweit einzigartige Haftungsregeln vorsieht und von den Initianten unterstützt wird – sowie der Vorschlag des Ständerates, welcher international abgestimmt ist und auch vom Bundesrat mitgetragen wird.
Warum unterstützt Clariant zusammen mit den grossen, international tätigen Unternehmen unseres Landes den Gegenvorschlag des Ständerates? Weil dieser Vorschlag klare Vorgaben macht und seine zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen zwar weitgehend sein können, aber berechenbar bleiben. Ähnliche Gesetze kennen beispielsweise die EU, Grossbritannien, die Niederlande und Australien. Kernpunkt dieser Regelungen ist die «Due Diligence»-Bestimmung, welche sich an den Arbeiten der Uno und der OECD orientiert. Firmen sollen eine Risikoanalyse vornehmen und Vorkehrungen treffen, um Verletzungen von Standards bei ihren Lieferanten und Kunden weltweit zu verhindern oder zu mindern. Der Vorschlag hält folglich die Unternehmen an, im Tagesgeschäft verbindlich über die eigene Unternehmensgrenze hinaus Nachhaltigkeitskriterien zu übernehmen, und wirkt so präventiv.
Anders gestaltet sich die Ausgangslage bei der Variante des Nationalrates. Diese würde einen Sprung ins juristische Ungewisse darstellen. Denn der Vorschlag sieht vor, dass künftig der Beklagte beweisen soll, dass ihn kein Verschulden trifft. Zwar wird von den Befürwortern argumentiert, dass diese Form der Beweislastumkehr im Rahmen der sogenannten Geschäftsherrenhaftung gemäss Lehrmeinung unter Umständen auch schon heute greifen könnte. Dies ist jedoch umstritten und wurde bisher vor Gericht noch in keinem einzigen Fall gestützt.
In jedem Fall neu und vor allem international einmalig wäre der Kontext, in dem das Instrument zur Anwendung käme: Erstens macht der Gegenvorschlag Schweizer Unternehmen verantwortlich für die Einhaltung eines Umwelt- und Menschenrechtskataloges, der weit ausgedehnt ist und auch Bestimmungen enthält, welche die Schweiz nur als Land und nicht unmittelbar im Hinblick auf die Pflichten der Unternehmen ratifiziert hat. Beispiele hierfür sind der Uno-Pakt I über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte oder der Uno-Pakt II über bürgerliche und politische Rechte. Zweitens sieht der Vorschlag vor, dass Firmen künftig selbst sicherstellen und beweisen müssten, dass diese Bestimmungen bei ihren mehreren hunderttausend direkten und indirekten Geschäftskontakten weltweit eingehalten werden. Wenn dies nicht gelingt, werden sie für das Verhalten ihrer im Ausland domizilierten Tochtergesellschaften unmittelbar und ohne Verschulden haftbar. Drittens wird die schweizerische Gerichtsbarkeit für Haftungsprozesse aus der ganzen Welt geöffnet, die aber nur gegen Schweizer Unternehmen gebracht werden können.
Eine solche weltweit einzigartige Fehlkonstruktion erkennen internationale Kanzleien, Konkurrenten oder gewisse Staaten sehr schnell: Der Entlastungsbeweis dürfte de facto nicht gelingen – unsere Unternehmen werden dadurch erpressbar. Die Schaffung eines neuen Gerichtsstandes hat zudem zur Folge, dass die Vorteile des Schweizer Prozessrechts für alle Weltenbürger geöffnet würden. Insbesondere könnten ausländische Kläger unentgeltliche Rechtspflege geltend machen. Da mit dem Instrument der Beweislastumkehr die Prozesshürden stark gesenkt würden, wäre dies geradezu eine Einladung für internationale Parteien, auf Kosten der Schweizer Steuerzahler in unserem Land zu prozessieren.
Schweizer Unternehmen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Es gibt dazu bereits viele Anstrengungen. Was wir als Wirtschaft nicht unterstützen, ist eine Haftung für Dritte verbunden mit der Beweislastumkehr, wie sie die Initiative und auch der Gegenvorschlag des Nationalrates fordern. Die Schweiz braucht eine Lösung, welche die berechtigten Anliegen im Bereich Umweltschutz und Menschenrechte fördert und den von der Uno und der OECD propagierten langfristigen partnerschaftlichen Ansatz nicht infrage stellt.
Dieses Editorial wurde am 29. Februar 2020 in der NZZ als als Gastkommentar publiziert.
Weitere Informationen zur Konzern-Initiative finden Sie im Dossier Konzern-Initiative von SwissHoldings.