Finanzielle Risiken und Herausforderungen aufgrund der OECD-Mindestbesteuerung

Die Schweiz hat mit der Schweizer Ergänzungssteuer das volkswirtschaftlich bedeutendste Element der OECD-Mindeststeuer auf Anfang 2024 in Kraft gesetzt. Mit der Einführung der OECD-Mindeststeuer wird der klassische Steuervorteil der Schweiz stark eingeschränkt und bestehende Standortnachteile fallen zukünftig stärker ins Gewicht. Ständerätin Petra Gössi anerkennt das in ihrem Postulat 23.3753 «Standortattraktivität für die Zukunft sichern» und fordert den Bundesrat auf, darzulegen, wie die Schweiz zukünftig im neuen Standortwettbewerb attraktiv und wettbewerbsfähig bleiben kann. Denn klar ist: Ohne Gegenmassnahmen könnten die finanziellen Folgen grösser als allgemein erwartet ausfallen.

Damit die Schweiz im neuen internationalen Standortwettbewerb erfolgreich bleiben und ihre hohen Steuereinnahmen erhalten kann, müssen Bund, Kantone und Wirtschaft einen Werkzeugkasten mit neuen Instrumenten entwickeln, um den geringeren Handlungsspielraum nach Einführung der OECD-Mindeststeuer zu kompensieren. Dafür gilt es nachstehende Punkte zu beachten.

Das System der Unternehmensbesteuerung

In den letzten beiden Jahrzehnten haben sowohl Kantone als auch der Bund ihre Unternehmenssteuern reduziert und damit ihre steuerliche Attraktivität erhöht. Entgegen den allgemeinen Erwartungen führten diese Steuersenkungen nicht zu signifikanten Steuerausfällen, sondern im Gegenteil zu grossen Mehreinnahmen. Hauptprofiteur der primär von den Kantonen verbesserten steuerlichen Attraktivität war dabei der Bund und damit alle Menschen in der Schweiz. Entscheidend für die grossen Mehreinnahmen, obwohl diese Steuern gesenkt wurden, sind insbesondere die OECD-Transferpreisregeln respektive wie die besten Steuerzahler, also die internationalen Konzerne, auf die OECD-Vorgaben reagieren.

Die OECD-Transferpreisregeln definieren, zu welchen Preisen Güter und Dienstleistungen konzernintern ausgetauscht werden. Durch die Festsetzung des Transferpreises wird damit indirekt bestimmt, welche Konzerngesellschaft wie viel an einem Produkt oder einer Dienstleistung verdient. Gemäss den OECD-Transferpreisregeln soll der Transferpreis mit einer Funktions- und Risikoanalyse (siehe Box) so gesetzt werden, dass der meiste Gewinn eines Konzerns den Gesellschaften zusteht, die strategische Führungsfunktionen bei der Entwicklung, Verbesserung und Vermarktung eines Produkts ausführen.

Länder, welche diese zentralen Entscheidfunktionen der Unternehmen in ihrem Land haben, profitieren von hohen Steuereinnahmen – so auch die Schweiz. Da die Schweiz über diese OECD-Transferpreisregeln hinaus über attraktive steuerliche Rahmenbedingungen für Unternehmen verfügte, insbesondere bei den Gewinnsteuern und dem DBA-Netz, entschieden sich multinationale Unternehmen diese finanziell bedeutenden Funktionen wenn möglich durch Schweizer Konzerngesellschaften auszuüben. Für Bund und Kantone war dies äusserst lukrativ. Neben hohen Gewinnsteuern resultierten dank der gut bezahlten Entscheidungsträger auch hohe Einnahmen bei den Einkommenssteuern und den Sozialversicherungen (z.B. AHV-Beiträge). Gut bezahlte und für den Schweizer Fiskus attraktive Entscheidfunktionen, z.B. im Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsbereich, wurden dem Standort Schweiz zugewiesen, während gemäss OECD-Transferpreisregeln weniger gewinnträchtige Funktionen (z.B. IT, Steuern oder HR) aus Kostengründen, vor allem wegen hohen Lohnkosten, unter anderem in ausländischen Shared Service Centern konzentriert wurden.

Der Wendepunkt OECD-Mindeststeuer

Mit der OECD-Mindeststeuer will die G20 steuerlich attraktive Kleinstaaten zurückbinden. International tätige Unternehmensgruppen mit einem Umsatz von 750 Millionen Euro und mehr sollen mindestens 15 Prozent Steuern auf ihren Gewinn bezahlen müssen. Damit sollen anstelle von Gewinnsteuern andere Faktoren bei der Standortentscheidung massgebend sein. Die Transferregeln, welche es für Länder attraktiv macht, Entscheidfunktionen der Unternehmen in ihren Ländern zu haben, bleiben aber bestehen. Beides heizt den Standortwettbewerb zwischen den Ländern an.

Verschiedene Staaten wie Deutschland, Frankreich und weitere Länder setzen deshalb vermehrt auf grosszügige Subventionen für multinationale Unternehmen wie Intel oder Tesla. Umfangreiche Subventionen garantieren allerdings nicht, dass internationale Konzerne auch die steuerlich besonders lukrativen Aktivitäten in ein bestimmtes Land transferieren. Zudem sind Subventionen selbst dann geschuldet, wenn ein Unternehmen Verluste schreibt und gar keine Steuern abliefert. Subventionen an wirtschaftlich und steuerlich attraktive Unternehmen können aus Sicht eines Staats erhebliche Vorteile bringen. Allerdings muss geprüft werden, wie sie ausgestaltet und wem sie ausgerichtet werden. Abzüge vom steuerbaren Gewinn (z.B. in Form einer Patentbox für F&E-Aktivitäten) sind aus Sicht des Staats Subventionen unterlegen. So kann ein Unternehmen die Patentbox nur dann nutzen, wenn es wichtige Forschungsaktivitäten im entsprechenden Land ausübt und die aus den Patenten herrührenden Erträge im Land versteuert. Zusätzlich greift der Patentboxvorteil nur dann, wenn das Unternehmen überhaupt Gewinne versteuert. Daher mag es nicht zu erstaunen, dass sich die USA der OECD-Mindestbesteuerung entziehen, was ihnen erlaubt, weiterhin ihr patentboxähnliches FDII-Instrument und ihre zahlreichen Steuerabzüge zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts USA zu nutzen.

Für die Schweiz, die neben einer guten Infrastruktur, hoher Rechtssicherheit und anderen Vorteilen aber vor allem über attraktive steuerliche Rahmenbedingungen verfügt, bedeutet die Einführung der OECD-Mindeststeuer einen Wendepunkt im Standortwettbewerb.

Der Weg mit der OECD-Mindeststeuer

Die Schweiz hat zu Beginn des Jahres 2024 mit der Einführung der Schweizer Ergänzungssteuer den ökonomisch problematischsten Baustein der OECD-Mindeststeuer implementiert. Die in der Schweiz tätigen multinationalen Unternehmen werden gezwungen sein, diesen geänderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen.

Verzichtet die Schweiz darauf zu reagieren und mittels neuer Instrumente sicherzustellen, dass multinationale Unternehmen auch künftig steuerlich besonders lukrative Tätigkeiten in der Schweiz ansiedeln wollen, drohen Bund und Kantonen mittelfristig finanzielle Mindereinnahmen.

Angesichts der prognostizierten Defizite des Bundes (höhere Militär- und Sozialausgaben) dürften diese Mindereinnahmen nicht leicht zu kompensieren sein. Vor diesem Hintergrund erscheint eine umfassende Analyse der Folgen der OECD-Mindestbesteuerung auf die Standortattraktivität der Schweiz und die Steuereinnahmen und damit auch die Forderung im Postulat von Ständerätin Petra Gössi unabdingbar.

Allerdings sollte es der Bundesrat nicht bei einer Analyse belassen. Sollen die heutigen hohen Steuerzahlungen multinationaler Unternehmen und ihrer Angestellten längerfristig gesichert und allenfalls erhöht werden, muss der Bundesrat zusammen mit den Kantonen und der Wirtschaft ein Massnahmenpaket entwickeln. Gerade der enge Einbezug von Experten aus der Unternehmenswelt wird dabei zentral sein.

Viele dieser Massnahmen werden die Kantone finanzieren und umsetzen müssen. Stellen sich die Kantone geschickt auf die neuen Rahmenbedingungen ein, könnten einige gegenüber heute auch Mehreinahmen realisieren.

Info Box

OECD-Transferpreisregeln

Die OECD-Transferpreisregeln definieren, zu welchen Preisen Güter und Dienstleistungen konzernintern ausgetauscht werden. Durch die Festsetzung des Transferpreises wird damit indirekt bestimmt, welche Konzerngesellschaft wie viel an einem Produkt oder einer Dienstleistung verdient. Gemäss den OECD-Transferpreisregeln soll der Transferpreis so gesetzt werden, dass der meiste Gewinn eines Konzerns den Gesellschaften zusteht, die strategische Führungsfunktionen bei der Entwicklung, Verbesserung und Vermarktung eines Produkts ausführen. Aus einer Funktions- und Risikoanalyse wird abgeleitet, (i) in welcher Gesellschaft durch die höchsten Leitungsgremien die konzernrelevanten Entscheidungen getroffen werden, (ii) ob diese Gesellschaft auch die Risiken aus diesen unternehmerischen Entscheidungen trägt, und (iii) ob diese Konzerngesellschaft die finanziellen Mittel (Kapital) hat, diese Entscheidungen – auch Fehlentscheidungen – zu tragen.

Kontakt
Martin Hess | Leiter Steuern & Mitglied der Geschäftsleitung | martin.hess@swissholdings.ch | +41 (0)78 805 04 95

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